EISENACH FEIERT AVITAL BEN-CHORIN

Wer war Avital Ben-Chorin?

„Vogelsingen klingt durch die Lüfte, dich grüßen auch die Frühlingsdüfte“, schrieb Avital Ben-Chorin vor fast 100 Jahren in ihr Gedichtbüchlein. Zu dieser Zeit lebte sie, am 25. Februar 1923 als Erika Fackenheim geboren, in Eisenach.

 

Mit gerade einmal zwölf Jahren schrieb Avital Ben Chorin ein letztes Gedicht in ihr Büchlein, das sie zeitlebens begleitete, bevor sie sich ein Jahr später, 1936, entschied, Deutschland zu verlassen. Verfolgung durch das Regime des Nationalsozialismus trieb sie zur Auswanderung nach Palästina. Ihre Eltern blieben in Deutschland, das bis 1933 ihre Heimat war, zurück. Sie und andere Familienangehörige wurden 1944 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordet.

 

Sie lebte und arbeitete in Jerusalem, war israelische Hebräischlehrerin, Übersetzerin, literarische Sekretärin und Publizistin. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Schalom Ben-Chorin wurde sie zur Pionierin des deutsch-israelischen Jugendaustauschs und Mitgründerin der ersten jüdischen Reformgemeinde in Israel und des israelischen Zweiges der „Women's International League for Peace and Freedom“ (WILPF).

1956 besuchte Avital Ben-Chorin zum ersten Mal seit ihrer Alija (Einwanderung von jüdischen Menschen ins Land Israel) 1936 Deutschland, um ihren Ehemann zu dessen Vorträgen zu begleiten, hielt später selbst Vorträge und engagierte sich in der Aktion Sühnezeichen.

Von 1963 bis 1973 organisierte sie mit ihrem Ehemann erste Reisen von israelischen Jugendgruppen nach Deutschland. Sie war für zahlreiche Besuchergruppen aus Deutschland und deutschen Volontär*innen in Israel Gesprächspartnerin für Einführungen in das Judentum und für einen Gedankenaustausch über die israelisch-deutschen Beziehungen.

 

Im Jahr 2012 erhielt Avital Ben-Chorin die Ehrenbürgerwürde der Stadt Eisenach, ein Jahr später das Bundesverdienstkreuz. Sie starb am 6. Oktober 2017 in Haifa in Israel. Ein Teil ihres Nachlasses befindet sich im Stadtarchiv Eisenach.

 

„Avital Ben-Chorin war nicht nur eine hochgeschätzte Ehrenbürgerin. Sie war eine außergewöhnliche Frau, deren Kraft ich nur bewundern kann: Eine Vermittlerin zwischen den Religionen, Generationen und Nationen. Sie fand trotz ihrer Vertreibung im Jahr 1936 und des Verlustes Ihrer Familie in der Shoa die Stärke, eine Freundin des neuen Eisenachs zu werden, das doch immer ein Stück ihrer alten Heimat geblieben war. Sie wurde zur Vermittlerin einer Versöhnungsbotschaft, die das Erlittene nicht negierte und dennoch in die Zukunft blickte. Unzählige Eisenacherinnen und Eisenacher haben dieser Botschafterin bei ihren Besuchen in der Wartburgstadt gern und aufmerksam zugehört. Wir werden ihr Andenken bewahren“, Oberbürgermeisterin Katja Wolf über Avital Ben-Chorin.

 

Sie war getragen vom Geist einer christlich-jüdischen Verständigung. Ihr zu Ehren veranstaltete die Stadt Eisenach vom 3. bis 5. Juli die Begegnungstage anlässlich ihres 100. Geburtstages. Eigens dafür war auch deren Tochter Ariela Kimchi mit ihrem Mann Nissim angereist.

Begegnungstage zum 100. Geburtstag von Avital Ben-Chorin

Die Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Avital Ben-Chorin begannen am Montag, 3. Juli mit einer öffentlichen Bildungsveranstaltung der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, dem "Tacheles mit Simson" Projekt. Die Erfahrtour zum Jüdischen Leben vermittelt Wissen und wirbt für Offenheit und Toleranz. In verschiedenen medialen Angeboten und Gesprächen werden Vorurteile abgebaut und ein Zeichen gegen Antisemitismus und Rassismus gesetzt.

 

Am Nachmittag des 3. Juli wurde das inklusive Kunstprojekt "Erinnerungen an Avital" vor dem ehemaligen Wohnhaus vor dem ehemaligen Wohnhaus von Dr. Julius Fackenheim, ihrem Großvater, in der Schmelzerstraße 14 eröffnet. Dort befindet sich heute das Gemeinschaftliche Wohnen Schmelzerhof, eine Einrichtung der Diako Thüringen gem. GmbH. In Kooperation mit dem Gemeinschaftlichen Wohnen Schmelzerhof, dem Inklusions- und Teilhabeprojekt „FalXnetztreff“ und dem „Kunstverein Eisenach" entstand die Idee, das Haus mit Fotodrucken der Ehrenbürgerin und Textpassagen aus dem Gedichtbuch zu schmücken. Die Projektteilnehmer*innen wählten aus, schrieben ab, bearbeiteten die Vorlagen – mit technischer Unterstützung durch die Medienpädagogen des dbi - digital. Daraus ist das Kunstprojekt „Erinnerungen an Avital“ entstanden.

 

 

Es folgten am Dienstag Begegnungen mit Schüler*innen des Elisabeth-Gymnasiums, die ihr Projekt „Zweitzeugen“ vorstellten, wofür sie im Rahmen ihrer Projektwoche verschiedene Interviews führten, und der Goetheschule mit ihrem Projekt „Jüdisches Leben in Thüringen“.

Esplanade heißt nun Avital Ben-Chorin-Platz

Seit Dienstag, 4. Juli, heißt die Esplanade Avital Ben-Chorin-Platz. Oberbürgermeisterin Katja Wolf enthüllte gemeinsam mit Avital Ben-Chorins Tochter Ariela Kimchi das neue Straßenschild. Die Esplanade ist der geeignete Ort, weil er zwischen dem Lebensmittelpunkt der Erika Fackenheim*, dem Haus ihres Großvaters, Schmelzerstraße 14, und ihrer Schule, der damaligen Charlottenschule, heute Goetheschule, liegt.

 

„Es ist mir eine besondere Freude, die Familie von Avital Ben-Chorin heute hier an diesem Ort begrüßen zu dürfen“, so Oberbürgermeisterin Katja Wolf zur Eröffnung der Veranstaltung. „Es ist eine der größten Ehren, die eine Stadt einer Persönlichkeit zuteilwerden lassen kann. Es ist für mich ein sehr emotionaler Moment, dass wir ihr heute gemeinsam diese Ehre erweisen können. Dieser Platz ist der beste, den ich mir dafür vorstellen kann. Denn er baut eine Brücke zwischen dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Fackenheim und der Schule der kleinen Erika, die beides in so jungen Jahren schmerzlich hinter sich lassen musste.“

 

Die Esplanade ist der geeignete Ort, da er zwischen dem Lebensmittelpunkt der Erika Fackenheim, dem Haus ihres Großvaters, Schmelzerstraße 14, und ihrer Schule, der damaligen Charlottenschule (heutigen Goetheschule) liegt.

 

„Heute schließt sich ein Kreis“, so Ariela Kimchi. „Neben ihrer Schule erinnert mitten in Eisenach der Avital Ben-Chorin-Platz an meine Mutter, die sich besonders für den Dialog mit der jungen deutschen Generation engagierte. Ihr Name kehrt zur Erinnerung zurück in das Herz ihrer Geburtsstadt. Es ist eine Ehre zu sehen, wie Eisenach an meine Mutter erinnert. Dafür danke ich im Namen unserer ganzen Familie.“


„Avital Ben-Chorin war nicht nur eine hochgeschätzte Ehrenbürgerin. Sie war eine außergewöhnliche Frau, deren Kraft ich nur bewundern kann: Eine Vermittlerin zwischen den Religionen, Generationen und Nationen. Sie fand trotz ihrer Vertreibung im Jahr 1936 und des Verlustes Ihrer Familie in der Shoa die Stärke, eine Freundin des neuen Eisenachs zu werden, das doch immer ein Stück ihrer alten Heimat geblieben war. Sie wurde zur Vermittlerin einer Botschaft, die das Erlittene nicht negierte und dennoch in die Zukunft blickte. Unzählige Eisenacherinnen und Eisenacher haben dieser Botschafterin bei ihren Besuchen in der Wartburgstadt gern und aufmerksam zugehört. „Wir werden ihr Andenken bewahren und sind stolz, einen nach ihr benannten Platz inmitten der Stadt zu haben“, sagte Oberbürgermeisterin Katja Wolf.

Festveranstaltung "100. Geburtstag Avital Ben-Chorin"

Oberbürgermeisterin Katja Wolf eröffnete am Dienstagabend, 4. Juli, die Festveranstaltung im Rokokosaal des Stadtschlosses.

 

 

„Ich hatte das Glück – und dafür bin ich unendlich dankbar –, dass ich Avital Ben-Chorin persönlich kennenlernen durfte“, so Katja Wolf während der Veranstaltung. „Ich blicke dabei auf viele bewegende Momente zurück. Heute feiern wir diese zierliche, warmherzige und dennoch starke, resolute Frau, die sich trotz ihres Schicksals mit all ihrer Kraft für Verständigung einsetzte und ihr Leben dem Dialog widmete.“

 

Ihr zu Ehren enthüllte Oberbürgermeisterin Katja Wolf gemeinsam mit Avitals Tochter, Ariela Kimchi, ein Gemälde, eigens angefertigt vom Eisenacher Künstler Jost Heyder. Er hatte seinerzeit die Eltern von Avital Ben-Chorin in Bleistiftskizzen gemalt, welche ihr zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde im Jahr 2012 geschenkt wurden. Diese Skizzen gingen nach ihrem Tod wieder über den Nachlass an die Stadt zurück.

 

Musikalisch untermalt wurde der Abend von Dina Pfeiffer und Alexej Pfeiffer sowie dem Chor der 5. Klasse des Martin-Luther-Gymnasiums mit Lehrerin Almuth Heinze. Beiträge von Schüler*innen der Goetheschule mit Texten zur Biographie Avital Ben-Chorins und ein Gespräch zwischen Schüler*innen des Elisabeth-Gymnasiums und Ariela Kimchi rundeten das Programm ab.

 

Auch das Gedichtbuch von Avital Ben-Chorin wurde vorgestellt. Das Originalbuch ist in der Sonderausstellung des Lutherhauses Eisenach zum kirchlichen ‚Entjudungsinstitut‘ zu sehen. Bis einschließlich 7. Juli 2023 bietet das Lutherhaus Eisenach einen rabattierten Eintrittspreis für den Besuch der Sonderausstellung. Das Gedichtbuch von Avital Ben-Chorin wird von der Eisenacher Kulturschaffenden Alexandra Husemeyer herausgegeben.

 

 

Dieses Projekt wurde durch Förderung der Stadt Eisenach, der Evangelischen Kirchgemeinde Eisenach, dem Kirchenkreis Eisenach-Gerstungen und der Evangelischen Diakonissenhaus-Stiftung ermöglicht. Es erscheint in einer Auflage von 500 Stück und ist ab sofort im Museumsshop des Lutherhauses und in der Buchhandlung "Leselust" am Eisenacher Markt erhältlich.

Nachlass von Avital Ben-Chorin ab sofort im Stadtarchiv Eisenach einsehbar

Pünktlich zum Jubiläum „100. Geburtstag Avital Ben-Chorin“ konnten die Arbeiten an der Erschließung des Nachlasses der Eisenacher Ehrenbürgerin abgeschlossen werden. Das Stadtarchiv Eisenach freut sich, diese besondere Quelle zur jüdisch-deutsch-israelischen Geschichte der Forschung und allen Interessierten zur Verfügung stellen zu können. Die umfangreichen Materialien des Nachlasses ermöglichen es, das Leben und Wirken von Avital Ben-Chorin detailliert nachzuzeichnen. So geben beispielsweise 20 Tagebücher, Notizbücher und Gedichtbücher Einblick in ganz private Gedanken. Das berufliche und öffentliche Leben von Avital wiederum spiegelt sich in mehreren Tausend Aufzeichnungen, Manuskripten, Zeitungsartikeln und Einzeldokumenten.

 

Die überlieferte Korrespondenz enthält etwa 1600 Briefe und Postkarten. Viele stammen von Freunden und Verwandten, aber es befinden sich auch Schreiben von Schülern und Studenten, Vertretern aus Religion und Politik sowie Medienschaffenden darunter, die immer wieder Avitals Einschätzung bei der Beurteilung der Lage zwischen Israel und Palästina sowie zwischen Juden und Christen gesucht haben. Viele dieser Briefwechsel sind in hebräischer Sprache, sodass eine tiefergreifende Erforschung der Inhalte noch aussteht.

 

Neben den schriftlichen Aufzeichnungen umfasst der Nachlass rund 3000 Fotografien, die Avitals Leben von der frühen Kindheit bis ins hohe Alter dokumentieren sowie Ton- und Videoaufnahmen aus dem Privatleben und von öffentlichen Auftritten. In der Datenbank des Stadtarchivs stehen alle Aufnahmen bereits digital bereit.

 

Des Weiteren gibt es im Nachlass eine Buchsammlung mit rund 200 Werken aus Religion, Gesellschaft, Politik und Lyrik, die in unverwechselbarer Weise ihre Interessen und Überzeugungen widerspiegeln. Etwa 50 Bücher dieser Sammlung besitzen einen Bezug zu Eisenach und verweisen damit auf Avitals zeitlose Verbundenheit mit ihrer Heimatstadt.

 

Ergänzt wird der Nachlass durch eine kleine Anzahl Gegenstände aus ihrem Leben. Hierzu gehören unter anderem ein Fernglas und ein Kartenspiel – Gegenstände, die sie auf ihrer Flucht aus Deutschland bei sich hatte.

So erreichen Sie uns

Fachdienst Kultur
Dr. Achim Heidenreich
Goldschmiedenstraße 1
99817 Eisenach
auf Google Maps anzeigen

Telefon: 03691 670-419
Fax:        03691 670-945
E-Mail

Montag: 9-12 Uhr
Dienstag: 9-12 Uhr
Mittwoch: 9-12 Uhr
Donnerstag: 9-12 und 14-16 Uhr
Freitag: 9-12 Uhr
sowie nach Vereinbarung